Weiter nordwärts

2. Juli 2023 | 4 Kommentare

Am bisher östlichsten Punkt unserer Reise (020°30’ E) in Degerby auf Föglö treffen wir alte Bekannte wieder: Die deutsche Joy, welche wir bereits in Borgholm getroffen haben. Beim Wasserfüllen erfahren wir, dass sie am Montag ebenfalls nach Bomarsund wollen. Der Törn dorthin geht durch eine schöne Schärenlandschaft, es gibt keine grossen Wellen, da das ganze Åland-Archipel auf dieser Seite von unzähligen Inselchen umgeben ist. Wir kreuzen fernab von den grösseren Fahrwassern und erreichen den kleinen Hafen am frühen Nachmittag. 

Zurzeit ungenutze Fähranlage in Långnäs

Bomarsund ist die Ruine einer Festungsanlage aus der Zeit, als dieses Gebiet noch unter russischer Herrschaft war. Auch die Briten waren dann hier und haben 1854 während der Zeit des Krim-Krieges (hier: Åland-Krieg) mit ihren Dampfkreuzern die damalige Anlage in Schutt und Asche gelegt. Mit dem Pariser Frieden 1956 wurde das Gebiet der Ålands zur entmilitarisierten Zone und alle militärischen Einrichtungen weitgehend zerstört. Aus der ehemaligen Festung sollen aber viele der roten  Granitsteine als Baumaterial in alle Welt verfrachtet worden sein, unter anderem lassen sich Elemente in grossen Kirchen in St. Petersburg finden.

Der Hafen ist an einen Campingplatz angeschlossen und die sanitären Einrichtungen finden sich etwa 500 Meter entfernt. Der Campingplatz ist nahezu leer, einige Zelte und wenige Wohnmobile stehen da. Auch die kleinen mietbaren Hütten sind alle leer. Die Hafengebühr ist mit 16 Euro sehr preiswert – die Dusche schlägt mit einem Euro für vier Minuten warmes Wasser extra und Warmwasser im Waschhaus mit 20 Cents zu Buche 🙂

Blåbär-Kuchen

Am Mittwoch wollen wir weiter zur Nordküste von Åland, wo es einen kleinen Hotelhafen in Havsvidden gibt. Nach anfänglichem Motoren gegen den Wind in einem engen Fahrwasser geht es bald in einer Rauschefahrt mit Gross und Genua dorthin.

Gute Windausbeute mit 7 Knoten auf dem Weg nach Havsvidden

Eine etwas knifflige Einfahrt zwischen Felsbrocken meistern wir problemlos und machen am Steg mit einer Heckboje fest. Hier ist die Hafengebühr mit 40 Euro etwas höher, dafür sind alle Annehmlichkeiten wie Strom, Wasser, Toiletten, Duschen, drei Saunas, ein Pool, Wlan usw. inkludiert. Wir bleiben gleich zwei Nächte hier, nützen alle features aus und gönnen uns nach einer kleinen Rundwanderung ein feines Nachtessen im Hotelrestaurant mit fantastischer Aussicht. Die Hotelanlage besteht neben einigen Hotelzimmern aus vielen, modern anmutenden Seesicht-Häusern. Sie wird von einer schwedischen Investorengruppe betrieben und scheint ein Publikumsmagnet zu sein: Tagsüber sind Sauna und Pool von Familien und älteren Paaren gut besucht, auch die Poolbar und das Restaurant sind sehr belebt.

Für den weiteren Törnverlauf müssen wir uns nun entscheiden, ob wir von hier aus weiter Åland umrunden oder an die schwedische Ostküste weiterwollen. Die Wettervorhersage droht mit einem Wetterumschlag und dem Ende der bisherigen Dauerbesonnung, auch soll eine Front ziemlich viel Wind und Abkühlung mit sich bringen. Auch eine letzte Botschaft unserer Freunde von der Nele, welche schon weiter oben an der Küste ist, warnt uns vor einem unruhigen Wochenende.

Für den bottnischen Meerbusen wird am Donnerstag und bis Freitagabend aber noch mildes Wetter mit 4-8 Knoten südöstlichem Wind prognostiziert. Damit steht der Entschluss fest: Wir nehmen die rund 160 Seemeilen in Richtung Höga Kusten in Angriff. Das sollte so in rund 30 Stunden zu bewältigen sein und gibt uns Gelegenheit, an einem dieser noch lange hellen Tage mit Sonnenunter- und Sonnenaufgang eine schöne Nachtfahrt zu machen. Es stellt sich allerdings wieder einmal heraus, dass Prognosen eben genau das sind: Wahrscheinlichkeiten. Wir starten um 8 Uhr (finnische Zeit) und haben bis abends mit drei kleinen Unterbrüchen kaum 4 Knoten Wind. Also wird mehrheitlich der Motor zu Hilfe genommen, bis dann am Abend endlich genug Wind weht um nahezu geräuschlos unserem Ziel entgegenzusegeln. Auf dieser Strecke muss man auch nicht mit grossem Verkehr rechnen, wir sehen etwa vier Frachtschiffe in weiter Ferne an uns vorbeiziehen und wir machen nur ein einziges Segelschiff auf dem Plotter aus, welches sich wie wir Richtung Norden wagt.

Da wir wieder in die europäische Zeitzone zurückkehren, „gewinnen“ wir zudem wieder eine Stunde. Die Sonne geht theoretisch um 22:36 unter, wir sehen sie um 22:10 in den Wolken über dem schwedischen Festland verschwinden. Da die Sonne bereits um 03:07 wieder aufgeht, überbrücken wir die fünf Stunden mit ruhiger Fahrt von meist etwas über 4 Knoten. Der Smutje hat bereits am Vorabend einen rassigen Teigwarensalat zubereitet und wir teilen uns die nächtlichen Stunden abwechslungsweise mit einigen Stunden Schlaf in der Koje. Der Ausguck bleibt ereignisarm, jede Viertelstunde ein Rundumblick in die im Norden durchgehend helle Nacht genügt, Fischer sehen wir keine und nur wenige Tanker passieren in der Ferne. Weitab vom Festland gibt es nun auch kein Internet und wir machen grössere Fortschritte in unserem Lesestoffen.

Am Freitag machen wir kurz nach 12 Uhr (schwedische Zeit) im gut geschützten Gästehafen von Sundsvall fest – wir waren also etwas mehr als 28 Stunden unterwegs.

Route 17. Mai bis 30. Juni 2023

Wir sind nicht die Einzigen, welche hierher kommen, der Hafen nahe am Stadtkern ist bis am Abend mit etwa 10 Segelbooten gut belegt, aber bei weitem noch nicht voll. Die meisten unserer Nachbarn wollen auch hier abwettern, bis sich der auch hier zunehmende Wind und die sich damit bald aufbauende Welle wieder etwas beruhigt haben.

Wir ruhen uns also gemütlich aus, holen etwas Schlaf nach und erkunden, was uns hier in Sundsvall erwartet. Schon bei der Einfahrt haben wir eine grosse Hafenanlage des Zelluloseproduzenten SCA gesehen. Eine Recherche zeigt, dass wir hier im Hauptquartier der Tempo-Taschentücher gelandet sind (gehörte bis 2007 zu Procter&Gamble und seit 2017 zum SCA-Ableger Essity). Auch für die bekannten Marken Tork und Zewa („wisch und weg“) wurde hier Zellulose produziert.

Aber auch der Stadtkern von Sundsvall kann sich sehen lassen. Grosse, reich verzierte Häuser bilden die Stenstaden, welche – wie der Name sagt – aus Stein gebaut sind. Im Reiseportal Schwedentipps wird Sundsvall sogar als „eine der schönsten Städte Schwedens“ bezeichnet (siehe Link). Am Samstag bläst es im Hafen ganz ordentlich und der Skipper geht zuerst auf Scooter-Reise zum Bootszubehörladen Hjertmanns auf der anderen Seite der Stadt. Eigentlich braucht er nur einen kleinen Schäkel, der ersetzt werden muss. Den findet er auch, kommt aber (natürlich) mit mehr „nützlichen“ Dingen zurück – wie auch der Verkäufer dort lachend bemerkt 🙂

Danach erkunden wir den eindrucksvollen Stadtkern, komplettieren die Kombüse und die Skipperin lässt sich zu einem Haarschnitt hinreissen. Am Abend speisen wir in einem griechischen Restaurant. Es hat auffallend viele Personen mit einem Schildchen an ihrer Kleidung. Wir vermuten, dass es hier wieder einmal eine Konferens stattfindet – die Hotels sind ja landauf und landab sehr auf solche Zusammenkünfte eingerichtet. Wir finden dann anhand der Schildchen und dem Internet heraus, dass es sich hier um die Jahresversammlung einer religiösen Vereinigung handelt, welche unweit vom Stadtkern von Freitag bis Sonntag in einem Kongresszentrum eine Zusammenkunft hat.

Der Sonntagmorgen beginnt mit Regen, welcher gegen Mittag viel Wind aber auch viel Sonnenschein weicht. Wie die Wetteraufzeichnungen und -prognosen zeigen, ist fast ganz Skandinavien vom Skagerrak bis nach Finnland von heftigen Stürmen betroffen. Hier soll es sich ab Montag wieder beruhigen, aber weiter unten scheint es weiterhin heftig zuzugehen:

Vorhersage gültig bis Montag früh:
Zentrale Ostsee :
Südwest 5, zunehmend 7, strichweise 8, Gewitterböen, See zunehmend 4 Meter. 

Aussichten gültig bis Dienstag früh:
Zentrale Ostsee :
Südwest 7, strichweise 8, später abnehmend 6.

Seewetterbericht herausgegeben vom Seewetterdienst Hamburg , 02.07.2023, 06 UTC; Windstärken in Beaufort

Auch in Westschweden geht es ruppig weiter – die Poema liegt dort aber bereits im sicheren Hafen und wartet bis im August auf die Fortzsetzung ihres 2023-Törns. Wir machen es uns bei sonntäglicher Lektüre gemütlich und studieren die Seekarten und Hafenführer für die geplante Fortsetzung entlang der Högen Kusten.

Geplanter Start in Vindö

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4 Kommentare

  1. Enno Köppen

    Liebe Agnes
    Danke für euren spannenden Bericht. Ich freue mich darüber, dass du die Ostseewellen geniessen konntest.
    Herzliche Grüsse Enno

  2. Josef Schmidt

    Ich bin leicht desorientiert; da ich wegen Komputerabwesenheit pausieren musste, war ich schon ‚im Fahrwasser der grossen Schiffe‘ und in Finnland, erfuhr, dass man ‚in der Hotelsauna abwettern‘ kann und degustierte die vielen Appetithappen (denn die meisten Häppchen kommen ja im Grossformat). Und erst noch ohne Kalorienzuwachs.
    Und nun segelt es sich ‚fernab von den grösseren Fahrwassern‘. Das kostspielige Duschen mit Heisswasserautomaten erinnert mich an meine Schottlandzeit, wo die Gasheizung mit Schillingen gefüttert werden musste. Es war nett, den Wandervogel Appenzellarius purpurosus und die Hafenbadenixe wieder einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Zu meiner grossen Belustigung erfuhr ich, dass Ihr die Lebenswahrheit von den Prognosen = Wahrscheinlichkeiten schon als mittelalterliche Lebenssegelerfahrung mitmacht. Was auch zu denken gibt: Wie Segelzubehör (Schäkel) erotisierend zu einem Objekt der Begierde werden kann. Dass muss von der schwedischen Freizügigkeit in diesen Dingen herrühren.
    Josef
    PS: Habt Ihr auch in diesen beiden Ländern, die ja in diesen Tagen politisch in brisanten Winden segeln, bei den Hafenaufenthalten Konkretes erfahren, was die Einheimischen so denken ?

  3. Susanne

    Hallo ihr zwei
    Danke euch für den spannenden Reisebericht. Euren Bericht zu lesen ist fast wie ein bisschen mitreisen. Geniesst weiterhin eure Reise, wir sind auch schon bald unterwegs, wir freuen uns aufs Meer.
    Herzlich Su

  4. Reto Volkart

    Liebe Agnes, lieber Thomas

    Besten Dank für Eure interessanten, vielfältigen und spannenden Einblicke in Eure Segel- und Reiseerfahrungen!
    Die 28-stündige Fahrt nach Sundsvall ist beeindruckend. Auch für mich als passionierten Nicht-Segler …
    Ich wünsche Euch weiterhin viele schöne Erlebnisse,
    mit herzlichen Grüssen
    Reto