Am Dienstag, 11. Juli, kehren wir wieder um und segeln in Richtung Süden. Natürlich passt der lange erwartete Südwind, welcher seit drei Tagen weht, überhaupt nicht, präsentiert sich aber immerhin in einer SSE-Variante, sodass wir keinen Kurztrip, sondern gleich die 18 Seemeilen nach Bönhamn unter den Kiel nehmen können. Erst auf dem letzten Abschnitt beginnt die Dünung und die Windwelle unangenehm zu werden und wir sind froh, in den gut geschützten Hafen einlaufen zu können. Hier wird mit Heckanker an einen Holzsteg angelegt und unser finnischer Nachbar in Trysunda empfahl uns, diesen weit draussen runterzuwerfen. In der Tat hält er beim ersten Mal nicht und wir müssen ein zweites Mal ran. Dann aber sitzt er gut und wir liegen schön gerade am Steg. Unser Stegnachbar meint, sein Heckanker halte auch nur halbbatzig, ohne Wind mache das aber nichts. Wir spazieren etwas um das kleine Bönhamn herum und planen, am nächsten Tag auch noch den Küstenweg zu erkunden. Am späteren Nachmittag kommt ein Stand-Up-Paddler vorbei und fragt auf Englisch (mit einem speziellen Akzent), woher denn unser Bootsname komme. Mit unserer Antwort ist er sehr zufrieden, denn er ist selbst Neuseeländer und weiss natürlich genau, warum man so einen Namen für sein Boot wählen kann. Seine Partnerin ist Dänin, deren Verwandet haben ein Sommerhaus hier an der Küste und so bekommt auch ein Kiwi mal in Schweden ein Alinghi-Schiff zu Gesicht 🙂
Am Mittwochmorgen bekommen wir einen neuen Stegnachbarn, dem wir wie üblich beim Anlegen helfen. Als der Skipper auf unser Boot zurücksteigt, sieht er hinter der Matariki eine weisse Schlange: Unser Heckankergurt! Und unser Schiff lehnt sich mit dem Wind bereits am neuen Stegnachbarn an, es gibt keinen Halt mehr von hinten. Beim Einziehen des Gurtes (wir haben immerhin fast 20 unserer 40 Meter ausgerollt, dazu kommen 3 Meter Kette und ein 7.5 kg schwerer Anker) wird schnell klar: Da hängt nichts mehr dran. Wir lassen das Beiboot zu Wasser und suchen nach Resten im Wasser, aber es ist dort bereits über 8 Meter tief, voll von Bewuchs und pechschwarz. Auch ein netter Schwede versucht mit seinem Boot und sein Sohn mit Taucherbrille am Bootsrand und seinem kleinen Anker mit Leine den Anker im Zickzackkurs aufzugabeln – vergebens: zu tief und und keine Sicht. Da nun der Wind etwas mehr in den Hafen bläst und unser Schiff auf die Nachbarn drückt, beschliessen wir relativ zügig, den Anker seinem Schicksal zu überlassen und irgendwo hinzufahren, wo wir ohne Heckanker sein können und keine anderen Schiffe als Puffer brauchen. Wir haben ja Glück im Unglück – wenn das an irgendeiner Schäre mit Wind und Steinen neben dem Boot passiert wäre… Auch die Ursache bleibt im Dunkeln. Das Gurtband ist zwar nun 7 Jahre alt und war oft von der Sonne mit ihren UV-Strahlen geschützt an der Reling aufbewahrt. Der Riss sieht sehr nach Schnitt aus, aber wir haben niemanden gesehen, der darüber gefahren wäre (und schon gar nicht diese Tiefe erreicht hätte). Also kommen nur Ermüdung oder ein Objekt im Wasser in Frage, an welchem sich das Gurtband hätte durchreiben können. Vielleicht unser eigener oder ein anderer dort unten liegender schiffloser Anker?
So oder so, wir legen also in Rekordzeit ab und steuern Barstahamn, den nächstgelegenen, drei Seemeilen entfernten Hafen an. Dort stellt sich allerdings heraus, dass die Wassertiefe für den längsseitigen Platz nicht die 1.9 Meter erreicht, welche im Hafenguide angegeben ist und der andere Platz wahrscheinlich von der Fähre benutzt wird. Also ankern wir nebenan – immerhin haben wir ja noch unseren Buganker.
Nun heisst es aber, einen Ersatz für den Heckanker zu beschaffen – auf unserem Weg liegen wohl noch einige Anlegestellen, wo wir den brauchen werden. Also geht es um 8 Uhr los und wir kommen teilweise nur mit der Genua voran, dürfen aber – wie schon beim Nordkurs – die Strecke zwischen Högakustenbron und Lustholmen aufkreuzen. Wir kommen kurz nach Mittag in Härnösund an, eine grössere Ortschaft mit einem wichtigen Merkmal: Ein Schiffzubehörladen in der Nähe des Gästehafens. Das wird also unsere erste Aktivität und wir besorgen 7.5 Kilo Heckanker, 6 Meter Kette und 40 Meter Heckleine (das ist eine Leine mit Bleieinlage; der Skipper hat vorerst die Nase voll von Heckankergurten).
Härnösund selbst bietet gute Einkaufsmöglichkeiten und ein Sommerfestplatz lädt bei rockigem Sound zum Feierabendbier ein. Wir wollen am Abend im Restaurant Engströms Food & Deli essen und werden um 20:10 dort vorstellig. Aber trotz leeren Tischen heisst es: Ohne Reservation kein Essen. Etwas konsterniert verlassen wir das Lokal. Dann zücken wir das Mobiltelefon und siehe da: Wir können für 20:45 einen Platz reservieren. Also eine halbe Stunde später erneut aufmarschiert und dann werden wir zu Speis und Trank zugelassen. Verstehe einer die schwedische Gastronomie. Aber das Essen war die kurze Wartezeit wert und es gab mal was anderes als Torskrygg, Oxfilé, Hamburger oder Räckör.
Für das ganze Wochenende ist Regen und sogar Sturm angesagt, also tun wir das, was alle Mitsegelnden tun werden: Einen sicheren Hafen suchen, wo man abwettern und auch etwas unternehmen kann. Für uns kommt da nur wieder Sundsvall in Frage, wo wir bereits nach unserer Überfahrt von den Ålands gelandet waren. Wir melden uns also – mindestens eine Stunde vorher! – beim Brückenmeister an, welcher uns und zwei weiteren Segelschiffen die beiden Brücken in Hanrösand öffnen wird. Beim Warten kommen wir ins Gespräch mit unserem finnischen Nachbarn, welchen wir von Trysunda her kennen, bzw. dessen Vater, der gestern Abend hier zugestiegen ist. Er spricht uns mit „Grüezi“ an und parliert dann in Deutsch mit uns. Er habe auch Schweizer Wurzeln und sogar zwei Jahre in Basel gearbeitet. Als er dann seinen Familiennamen erwähnt, wird alles klar: Er gehört zum grossen Bernoulli-Clan.
Nun hat unser Schiff also seine ungewollte Diätkur beendet und wir haben mit der neuen Heckankerausrüstung wieder Normalgewicht und segeln den grössten Teil in 7.5 Stunden nach Sundsvall. Dort werden wir von der Nele empfangen, welche noch hier liegt. Sie versorgen die müde Crew der Matariki mit einem feinen Apéro und Nachtessen und geben uns noch gute Tipps für Landausflüge von Sundsvall aus. Wir sinken früh uns Bett und schaffen es knapp, der Nele zum morgendlichen Abschied zu winken.
Wir haben für Samstag und Sonntag ein Mietauto reserviert, mit welchem wir das Landesinnere etwas erkunden wollen. Zuerst aber führt uns die Fahrt noch einmal zum Schiffszubehörladen: Es braucht noch eine neue Relings-Aufhängung für den (anders geformten) Heckanker und einen Ersatz für die Heckankerrolle, welche nur einen Gurt und keine Leine fassen kann. Dananch ist der Weg aber frei und wir fahren auf romantischen Strässchen ins Landesinnere, wo wir zuerst einen Zmittag bei der High Coast Distillery geniessen können.
Anschliessend fahren wir durch das Wander- und Skigebiet zum Döda Fallet, einem durch einen technischen Fehler nun trockenen Wasserfall. Bei der Idee, den höhergelegenen See mit einem Kanal für Schiffahrt und Lachswanderung zu erschliessen, ist dieser im Juni 1796 schlagartig entleert worden und hat das untere Land überschwemmt. Anhand des nun trockenen Wasserfalls kann man die eindrücklichen Kräfte des Wassers gut erkennen und in einem gut dokumentierten Rundgang erleben.
Das Nachtessen geniessen wir auf heissen Lavasteinen im Blackstone Steakhouse. In der Zwischenzeit laden wir unser elektrisches Mietauto wieder auf.
Der Sonntag entspricht dann der Wetterprognose: Es giesst aus Kübeln und auch Donner und Blitz fehlen nicht. Wir sind froh, jetzt nicht irgendwo draussen zu sein. Dank frisch stromgetanktem Mietwagen sind wir mobil und besuchen das nahegelegene Shoppingcenter Birsta. Wir sind nicht allein – alle haben dieselbe Sonntagsidee. Als Kontrast fahren wir danach zum Norraberget, einem Naturpark mit Freilichtmuseum. Wir erklimmen den 22 Meter hohen Aussichtsturm, wo wir in 162 Metern Höhe auf Sundsvall und Umgebung runterblicken können. In der Butik erstehen wir geräuchertes Rentierfleisch, welches wir bereits beim Apéro auf der Nele kosten durften und Elchwürstchen (das haben die Elche nun davon, dass sie sich uns noch nie gezeigt haben). Es hätte auch noch Bärenwürstchen und Rentierherz zu kaufen gegeben…
Beim weiterhin unfreundlichen Wetter mit starkem Südwind und entgegenkommenden Wellen bleiben wir auch Montag noch in Sundsvall. Wir studieren die eindrücklichen Gebäude der Stadt samt Kulturmagasinet und nutzen die Zeit für Arbeiten an Bord: Nun wird die neue Heckankerinstallation realisiert, gewaschen und geputzt, mit den Nachbarn geplaudert und Wasser gebunkert. Zwei Schiffe sind „Überbleibsel“ der Midsummersail-Regatta, welche Ende Juni von Wismar nach Haparanda geführt hatte. Sie werden nun teilweise mit neuer Crew wieder in ihre deutschen Heinmathäfen zurückkehren. Andere haben Stockholm als Ziel, wo sie ebenfalls neue Crews und Gäste aufnehmen wollen. Entsprechend ist der „run“ in Richtung Süden gross, was sich auch auf Marinetraffic gut beobachten lässt. Wir lassen es aber gemütlich angehen und planen auch noch einige kleinere Schläge, um den uns noch unbekannten Teil der schwedischen Ostküste zu erkunden.
Am Dienstag hat also der Wind endlich wieder Nachsicht mit uns und dreht auf NNW – ideal für einen schnellen Halbwindkurs. Ein Schiff nach dem anderen verlässt nun Sundsvall, die meisten wie wir Richtung Süden, wenige noch nach Norden. Wir werden vom Segelfieber gepackt und brausen mit Spitzengeschwindigkeiten über 7 Knoten viel weiter als wir zuerst gedacht haben. Lubban ist zu nah und nach Mellanfjärden fahren alle, also befolgen wir den Tipp der Fifty-Fifty-Crew und fahren noch etwas weiter nach Stocka, wo es erst noch eine ausgezeichnete Fischräucherei geben soll. Als wir in den Hafen einfahren kommt uns eine englische Sirius 40 DS entgegen. Im Vorbeifahren fragen wir sie, warum sie denn schon wieder auslaufen (wir haben das Schiff auf AIS erst vor kurzem Einlaufen sehen). Sie haben Bedenken wegen der Tiefe, welche an einigen Orten am Steg mit nur 1.7 Metern angegeben ist. Aber eigentlich sollte es für unsere 1.6 Meter am Rand noch passen, also fahren wir zum Hafen. Dort ist auch der längsseitige Steg noch frei, welcher mit 3 Metern Tiefe mehr als genug ist, also legen wir bequem dort an. Der Hafen erweist sich als gute Wahl: Dank zugehörigem Wohnmobilplatz ist die Infrastruktur gut, es gibt ein Restaurant und für den Morgen wird wieder einmal Brötchenservice angeboten. Der Weg zur Fischräucherei ist nicht kurz, aber schön. Leider ist diese genau heute Dienstag „geschlossen“. Was das genau heisst bei etwa 8 Kühlschränken und einer Kasse, in welche man Bargeld reinlegen kann? Es hat ein Tuch vor den Kühlschränken und der Raum mit der Kasse ist abgeschlossen. Verstehe einer die schwedischen Fischer… Wir probieren aber den viel gepriesenen Pepparlax abends im Restaurant. Leider ist der für unseren Geschmack etwas sehr salzig, was den erneuten Gang zum „Laden“ am nächsten Gang erübrigt.
Die Brötchen werden am Mittwochmorgen noch warm ans Boot geliefert und wir können nach dem Frühstück am selben Steg auch wieder einmal auftanken, bevor es wieder aufs Meer geht. Wir haben einen kurzen Schlag von 12 Seemeilen nach Kuggören geplant, wo es sowohl eine SXK-Boje als auch eine Ankergelegenheit gibt. Als wir kurz vor 14 Uhr dort ankommen, ist die Boje besetzt – und zwar von einer älteren Sirius 38DS, welche wir letztes Jahr schon einmal an der Ostküste gesehen haben. Also machen wir uns zum Ankern bereit, wobei der schöne Ankergrund vor dem Örtchen mit teilweise über 8 Metern etwas zuviel Kette erfordert und wir bei unerwarteterweise aufkommendem Wind etwas nahe am steinigen Ufer landen könnten. Da gibt es plötzlich Bewegung beim Bojenschiff – sie machen sich zum Ablegen bereit. Wir bedanken uns für das Freiwerden und machen bald darauf in der schönen Bucht an der blauen Boje fest. Auf einer Fahrt mit dem Dinghi staunen wir ob der vielen Boots- und Badehäuschen in der kleinen Bucht und geniessen den sonnigen Abend an Bord. Die „Dorfjugend“ bietet Abendunterhaltung und fährt mit vom Motorboot gezogenen Boards und Luftkissen johlend um den Bojenlieger.
Am Donnerstag haben wir ein Ziel aus der Tippliste der Nele: Wir wollen etwa 20 Seemeilen nach Skärså, wo sich ein nettes Restaurant und ebenfalls eine gute Räucherei befindet. Da der Wind schwächeln soll, gehen wir (für unsere Verhältnisse sehr) früh los (was auch von einem AIS-Spanner bemerkt wurde :-). Wie prophezeit, erfordert der erste Teil der Strecke Dieselwind. Über dem Land bilden sich aber hohe Wolken und wir sehen Regencluster samt Blitz und Donner. Das beschert uns auf dem sonnigen Meer dafür einen leichten Wind und wir können während dem Rest der Strecke unter Segeln das Schauspiel an Land weiter aus sicherer Distanz beobachten. Wir kommen trockenen Tuches und trockenen Fusses durch die trickige Einfahrt am Steg in Skärså an (was auch von einer Webcam-Stalkerin bemerkt wird :-). Bald erkunden wir das kleine Örtchen mit Kunsthandwerksladen und Glasbläserei, gönnen uns wieder einmal ein Glace und werden auch in der Räucherei fündig. Im auch schon tagsüber sehr gut besuchten Restaurant Albertina geniessen wir das Abendessen.
Oh ihr Lieben!
Tolle Orte, feines Essen,
Da ist ein Ankerbandriss
doch schnell vergessen ;-)!
Weiterhin viel Spass an Land und auf hoher See!
Klaus und Susanne
⛵️
Liebe Agnes, lieber Thomas,
über Eure lebendigen Reiseberichte freuen wir uns jedes Mal und verfolgen Eure Abenteuer gerne mit.
Wir liegen aktuell in Nynäshamn und sind für eine Woche in Frankfurt, um dort Geschäften nachzugehen.
Wir werden im August möglicherweise noch auf die Aland-Inseln fahren, eventuell noch weiter östlich nach Turku, und dann ab Mitte September ein Winterlager an der Ostküste Schwedens aufsuchen.
Herzliche Grüße
Arne & Klaudia von der S/Y „Esteem“