„Ungewöhnliche Wetterlage“

11. August 2023 | 3 Kommentare

am 04.08.2023, 05.00 UTC. 

Wetterlage und -entwicklung:

Zu Wochenbeginn wahrscheinlich verbreitet Sturmlage! Ein Tief über Lappland zieht nach Nordosten. Ein kräftiges Tief bei Irland zieht über Belgien nach Deutschland und füllt sich bis Sonntag auf. Zu Wochenbeginn kommt es zu einer ungewöhnlichen Wetterlage, insbesondere für den Sommer. Ein Tief zieht am Wochenende vom Balkan nordwärts und erreicht am Montag den Südteil der Ostsee. Bis dahin verstärkt es sich zum Sturmtief und zieht bis Mittwoch wahrscheinlich nach Mittelschweden. Im Ostseeraum und über dem Ostteil der Nordsee ist am Montag und Dienstag verbreitet Sturm wahrscheinlich! Die Seegänge erreichen großflächig 5 Meter. Schwere Sturmböen sind gebietsweise sehr wahrscheinlich, orkanartige Böen strichweise wahrscheinlich. 

Deutscher Wetterdienst, Seewetterdienst Hamburg

Na dann – immer noch kein Sommer seit Juli und nun auch noch das…

Am Sonntag machen wir uns früh auf in Richtung südlicher Stockholmer Schärengarten. Utö wäre streckenmässig etwa richtig, aber das lassen wir diesmal bleiben, es ist ja Sonntag und immer noch Saison. Zudem soll es in der Nacht zu viel Regen und Gewittern kommen, also sollten wir besser einen sicheren Hafen finden. Der südwestliche Wind macht es uns schwerer als nötig, aber mit einigen Kreuzkursen kommen wir bis nach Ornö. Dort empfiehlt der Hafenführer das gut geschützte Brunssviken, eine alte oder – wie sich herausstellt – ausrangierte und etwas heruntergekommene Bootswerft auf Ornö. Nichts los hier, ein schwedisches Holzsegelboot liegt da. Immerhin ein kleiner Laden, welcher wichtige Lebensmittel bereithält – über den Rest schweigt die Höflichkeit. Wie sich herausstellt liegt im „schwedischen“ Holzboot neben uns ein holländischer Segler, welcher 7-8 Wochen alleine in den Schären segelt („zuerst mit der Familie, dann fliegen die Kinder aus, dann sagt die Frau, sie hat es nun gesehen…“). Er wird nach Sandham weiterfahren, um an einem Classic-Sailboat-Race mitzumachen („niemand erwartet, dass ich dort in die Ränge komme“).

In der Nacht kommt dann das Unwetter und für einmal bleibt der Nachthimmel wieder einmal hell – nun allerdings von Blitzen erleuchtet statt von der Sonne. Das Blitzthema beschäftigt ja alle Segler und es scheint keine Patentlösung zu geben – ein richtiger Schutz wäre sehr aufwändig und natürlich auch keine garantierte Absicherung gegen allfällige Schäden. Die Sonne verzieht sich sowieso immer häufiger, abends wird es nun zu einer ähnlichen Zeit wie in der Schweiz dunkel, aber am Morgen ist es immer noch etwa eine Stunde früher hell. Aber auch am Tag ist nun mehrheitlich bewölkt und es bleibt ungewöhnlich kalt, die Sonnencreme wird nur noch selten benötigt. Nach dem überstandenen Unwetter machen wir uns am Montagmittag auf zur kurzen Strecke nach Nynäshamn, denn Wind gibt es kaum. Aber den Brötchenwagen gibt es noch, Shopping am Quai ist noch möglich (de Skipperin ersteht endlich einen Frottée-Bademantel von em 🙂 und es kann auch wieder einmal Wäsche gewaschen werden.

Am 1. August versprechen die Wetterpropheten östliche Winde – ideal, um via Landsort weiter nach Südwesten zu kommen. Der Wind kommt tatsächlich aus Südost, das passt immer noch. Aber es hat sich über die letzten Tagen auch eine unangenehme Dünung entwickelt, welche uns ganz schön ins Schaukeln bringt. Wir schaffen es aber in die Gegend von Oxelösund und entschliessen uns, wegen Wind und Regen nochmals in den Hafen zu fahren statt dort in der Nähe zu ankern. Es stellt sich heraus, dass es auch im Hafen ganz schön schaukelt, da die Wellen irgendwie den Weg dort hinein finden. Wir sind zudem an einem Steg, der für (noch) kleinere Boote gedacht ist und daher wechseln wir von Heckboje zu längsseits, um nicht vorne am Steg anzuschlagen – das schont zwar das Schiff, aber wir wackeln in der Nacht unangenehm nun seitwärts statt längs. Na ja, dann wird der 1. August halt geschüttelt und nicht gerührt. Auf einem Nachbarschiff wird mit ausgeklügelter Leinenführung versucht, der Schaukelei Herr zu werden. Die Familie darauf hat ein interessantes Törnprogramm: Sie segeln, wohin und soweit sie möchten und parallel dazu fahren ihre Eltern mit dem Camper die Küste entlang. Wenn die Einen genug gesegelt haben oder nach Hause wollen, wechselt die Besatzung und die Anderen fahren das Schiff weiter oder in den deutschen Heimathafen. Der Mittwoch ist segelmässig zum Vergessen, wir fahren mit der Bimmelbahn zum alten Städtchen von Oxelösund, besichtigen dort ein liebevoll restauriertes Haus, in welchem dargestellt wird, wie die Fischer hier früher gelebt und gearbeitet haben. Es gibt dort auch etwas Kunstausstellung, den unvermeidlichen „Loppis““ (kleiner Flohmarkt in einer Bude) und natürlich einen Kiosk für Fika, Smörgås und Eis.

Nördliche Winde! Wir wollen das nutzen, um auf unserem nun eher südlichen Kurs etwas Strecke zu machen. Also am Donnerstag wieder einmal früh auf und vor sieben Uhr legen wir ab. Tatsächlich „fliegen“ wir die 40 Meilen nur so hinunter. Zwar setzt bald ein Dauerregen ein (meist nur nieselig, mit kurzen heftigen Güssen) und auch der Wind frischt in Böen bis auf 28 Knoten auf, aber er kommt dankenswerterweise fast von hinten, so dass wir ohne grosse Gegenwelle und dank Decksalon auch mehrheitlich trocken mit 6-7 Knoten Fahrt schon nach sechs Stunden in Fyrudden ankommen. Trotz Regen und Kälte wird ein Eis gegessen (das bleibt ja in der Kälte bekanntlich länger fest) und in einer Boutique entpuppt sich der Verkäufer als schwedischer Appenzeller. Na ja, er ist über 1.80 Meter gross, aber er kann tatsächlich Schweizerdeutsch und war auch schon in der Heimat (seines Vaters).

Von Fyrudden geht es am Freitag um acht Uhr los, diesmal bei westlichen Winden mit schönem Halbwind und wieder mit rasanter Fahrt. In der gemäss Hafenführer beliebten Bucht von Stora Vippholmen bekommen wir noch eine SXK-Boje zu fassen und geniessen den für einmal sonnigen Nachmittag und Abend.

Am Samstag ist die Überfahrt nach Öland angesagt. Die Wettervorhersage bleibt bedrohlich und wir brauchen einen passenden Hafen. Wir können auch bis nach Mittag wieder schön in den Kalmarsund hinein kreuzen, dann wird es wieder sehr gegen uns und wir müssen zwischen Byxelkrok, Sandvik und Borgholm entscheiden. Da wir eigentlich Anfang Woche für den angesagten grossen Sturm am liebsten in Kalmar wären, lassen wir den Diesel arbeiten und schaffen die Strecke nach Borgholm. Der Hafen ist nicht sehr voll, obwohl Wochenende ist und abends ein Schlosskonzert angesagt ist. Am Steg lassen wir uns Grüsse von der Nele-Crew über die Crew der Veerle ausrichten – die Hafenkontakte bleiben angesichts des Starkwindes und des immer wieder kräftigen Regens allerdings sehr spärlich. Am Sonntag bläst es dann ordentlich aus Süden, an ein Weiterfahren denkt hier niemand – aber wir liegen trotz 26 Knoten Böen sicher im Hafen.

Die Ruhe vor dem (ersten) Sturm

Wir stellen uns schon darauf ein, noch länger hier zu bleiben, als für Montag ein Windfenster mit östlichen Winden angesagt wird. So geht es am Montag um acht Uhr wieder los. Nach einer rassigen Halbwindfahrt mit tatächlich östlichen Winden kommen wir nach knapp drei Stunden in Kalmar an. Da gerade Mittagszeit ist, werden wir nicht vom Hafenpersonal eingewiesen und können uns selbst das noch beste verfügbare Plätzchen aussuchen. Diesmal gehen wir vorzugsweise an einen sonst eher verpönten (da kratzanfälligen) Y-Steg, damit wir gut festmachen können, um den angesagten Sturmböen von 36 Knoten (im Hafen!) standzuhalten. Nach einiger Vertäuungsarbeit ist das Schiff mit acht Leinen und allen verfügbaren Fendern sturmbereit. Bis zum Abend sind die rund 135 Plätze belegt, sogar im Schiffsreinigungsplatz liegt ein Segelschiff. Fast alle Boote sind aus Deutschland, ein weiteres Schweizer Boot und einige Dänen und Holländer bringen etwas andere Flaggenfarben ins Bild. Im gut organisierten Gästehafen können wir waschen und in der Nähe einkaufen. Zu Skippers Freude hat es auch einen Schiffszubehörladen direkt am Hafen, wo ein fehlendes Schräubchen erstanden und ein kapputer Schäkel ersetzt werden kann (sonst nur geschaut – nix gekauft 🙂

Den Dienstag nützen wir zum Ausschlafen und besuchen das Schloss Kalmar, wo nebst der üblichen Schlossausstellung eine „immersive“ Multimediashow mit Bildern und Geschichten über „Monet and Friends“ zum Impressionismus gezeigt wird. Sturmmässig hält es sich in Grenzen: Zwar fegt oftmals eine starke Bö über die Stadt (wir haben im Bootsmast maximal 28.4 Knoten gemessen), Äste liegen herum und ab und zu regnet es ein bisschen. Draussen im Sund sehen die Wellen allerdings gfürchig aus, es ist mehr weiss als blau bzw. schwarz. Im Süden des Kalmarsund und in der Hanöbucht vermelden die Wetterstation über 40 Knoten Wind und über 4.2 Meter hohe Wellen. Das Abendessen geniessen wir aber ganz entspannt im Da Ernesto, welches trotz aller sorgsam drapierten Klischeestücke (samt Chiantiflaschen im Baströckchen) wirklich gute italienische Küche bietet.

Also verlängern wir unsere Hafentage wie die meisten hier um einen weiteren Tag und machen uns mit einem kurzfristig organisierten Mietauto auf ins benachbarte „Glasriket“. Wir besuchen die Glashütten von Malerås, Kosta Boda und Skruf. Malerås ist eine alte, grössere Glashütte, welche nach einigen Übernahmen und Übernahmeversuchen wieder bzw. immer noch in privaten Händen ist. Ursprünglich wurde hier Fensterglas und Gläser für medizinische und technische Zwecke gefertigt, heute werden Kunstglas und Gebrauchsglas hergestellt. Im Gegensatz dazu ist Kosta Boda (die fusionierten Glashütten von Kosta und Boda) ein touristisch vermarktetes Erlebnis. Wir bereiten uns nach Besichtigung der Glasbar im Restaurant des Kosta Boda Art Hotels beim ausgezeichneten Mittagsbuffet auf den Besuch der verschiedenen Lokalitäten vor. Neben den zahlreichen Verkausshops und „Outlets“, in welchen Massen von Touristen nach Schnäppchen suchen, zeigt die aktuelle Kunstausstellung Glasobjekte welche Musikinstrumente darstellen vom Künstler Kjell Engman (der schon seit 45 Jahren bei bzw. mit Kosta Boda arbeitet). Die aktive Glasbläserei kann ebenfalls besichtigt werden – dank Dauerregen und kaltem Wetter kommt man in den Produktionshallen trotz heissen Öfen aber nicht ansatzweise ins Schwitzen. Interessant war, dass auch die „grossen Namen“ (Bertil Vallien und Kjell Engman) persönlich vor Ort waren.

Für den Znacht müssen wir uns zwischen den vielen Essensständen im Schlosspark (es ist Stadtfest in Kalmar, vom Bistro Française über das Swiss Cheese Chalet bis zum vietnamesischem Angebot waren wohl alle Länder der Welt hier mit einem Stand vertreten) und dem weltläufigen koreanischen Restaurant Gangnam entscheiden. Letzteres gewinnt und wir geniessen die feinen und gut gewürzten Speisen.

Am Donnerstag wagen wir – wie viele andere – die Weiterfahrt nach Süden. Der Kalmarsund bietet nach mehreren stürmischen Tagen immer noch hohe und unangenehme Wellen und auch weiterhin Gegenwind. Bald verleidet uns das Kreuzen und die steten Brecher aufs Vordeck und wir laufen Berkvara statt unseres Planziels Kristianopel an. Nach dem Anlegen entdecken wir, dass leicht salziges Wasser vor der Dusche liegt – über das Duschfenster, welches nur einen Spalt offen war, scheint eine ziemlich grosse Ladung Wasser reingekommen zu sein, sogar in der Bilge unter den Bodenbrettern steht etwas Wasser. Also putzen und das nächste Mal bei Wellen und Lage auch dieses Fenster ganz schliessen. Auch dieser Hafen, welcher vom nahen Campingplatz aus bewirtschaftet wird, füllt sich bis am Abend mit einigen weiteren aus Kalmar bekannten Schiffen. Über marinetraffic verfolgen wir ja oft das „Schicksal“ unserer Reisegenossen und erfreuen uns an gelungenen Bootsnamen (der Renner ist zurzeit „R-Ente“ oder an der „Armada“ von deutschen Booten, welche heimwärts fahren. Beeindruckend ist hier die Sicht auf den nahen Leuchtturm Garpen und die Vogelschwärme, welche auf den vorgelagerten Inselchen und am Ufer zu Hunderten im Schwarm umherziehen. Am Morgen um fünf Uhr scheppert es ziemlich und zuerst hat der Skipper den Anker in Verdacht, welcher irgendwo herumdengelt. Ein kurzer Augenschein an Deck offenbart dann aber die wahre Ursache: Die netten Vögel von gestern haben sich nun die Wanten und Salinge der Segelboote als Landepätze ausgesucht. Entsprechend war am Morgen der Wasserschlauch des Hafens im Einsatz…

Für das Wochenende sind Winde angesagt, welche unsere Weiterfahrt beeinflussen: Freitag Südwest, Samstag Süd und Sonntag West – damit würde die Querung der grossen Hanöbucht zwar gut möglich, zuerst müssen wir aber noch den Rest des Kalmarsunds hinter uns bringen. Der Wind hat allerdings noch keine Einsicht, aber wenigsten sind die Wellen nun wieder moderat und so schaffen wir es mit Motorunterstützung in Richtung Karlskrona. Wir haben aber keine Lust auf einen vollen Hafen und ankern in der Bucht von Sturkö Dragsvik für die Nacht und sind ganz alleine.

3 Kommentare

  1. Enno Köppen

    Liebe Segler
    Danke für die spannenden Berichte. Wir waren auch die letzten 2 Wochen an der Nordsee , und wir können Ähnliches berichten: viel Wind, hohe Wellen zwischen den ostfriesischen Inseln und ab und zu etwas Sonne. Einen Pelle Petterson Shop gibt es jetzt neu auch auf Juist – toller Laden.
    Liebe Grüsse Enno

  2. Andrea Raab

    Der Frottée-Bademantel von em: Ist das der Marineblaue mit Kapuze? Oder der Grüne mit Wellenmuster und Reißverschluss vorne? Ich tippe auf den Marineblauen! Dass ihr so übles Wetter hattet, tut mir leid! Hoffentlich wird‘s endlich wieder ruhiger und trockener. Apropos: Hier in Mainz blitzt und donnert es grade, und der viele Regen der vergangenen zwei Wochen hat sogar meinen gelben Stoppelrasen wieder zum Grünen gebracht! Und: Mittwochs haben wir Susanne, die zurzeit mit dem Velo von Winterthur an die Müritz unterwegs ist, in Regensburg getroffen und waren im Fürstlichen Brauhaus schmausen. Liebe Grüße, Andi

  3. Josef Schmidt

    Die ‚ungewöhnliche Wetterlage‘ ist auch bei uns aktuell – vor einer Woche hatten wir in den Laurentiden einen hausgemachten Tornado, von dem wir erfuhren, als TV und Radio Programme unterbrochen wurden. Aber auf einer mehr spirituellen Ebene hat mich Eure Abhängigkeit von nicht immer günstigen Winden an eines meiner Lieblingslieder und Flötenstücke erinnert: Den Skye Boat Song ‚Spirit of God Unseen like the Wind…‘ angeblich keltischen Ursprungs und eigentlich ursprünglich ein Kriegsgesang mit einem andern Text. Auch die „Sturmböensicherung“ ist eines mehrfachen Schriftsinns würdig.
    Sehr sympathisch und zur Identifikation einladend: der einsame holländische Holzsegler mit dem olympischen Geist.
    Dankbar bin ich auch für die doppelten entspannten Feriengesichter (etwas rundlicher geworden ?), die zum Mitvergnügen einladen.
    Die glasgeblasenen Instrumente samt Künstler sind ebenfalls eine köstliche Rarität; und James Bond ist also in nordischen Gewässern zum Museumsgegenstand geworden.
    Leicht gewundert habe ich mich beim Schlussbild mit Raben (?); oder ist das anderes Geflügel – auf alle Fälle düster und unheimlich.